Fleißig, klug und überflüssig
- Florian Stürmer
- 9. Mai
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 21. Mai
Wie ein altes Ideal zur neuen Ausgrenzung führt

Der Mensch verschwindet aus den Zukunftserzählungen
Alle Visionen der Zukunft kreisen um Technologie. Es geht nicht mehr darum, was der Mensch leisten kann – sondern darum, was Technik liefern kann. Maschinen, Algorithmen, künstliche Intelligenzen stehen im Mittelpunkt der Erzählung. Der Mensch tritt ab, ersetzt durch Systeme, die schneller, effizienter und scheinbar klüger sind.
Wenn Maschinen Arbeiten, Denken und Entscheiden übernehmen, stellt sich Inmitten all dieser Fortschrittsversprechen eine neue, tiefere Frage: Wofür wird der Mensch überhaupt noch gebraucht?
Vom Kampf um Gerechtigkeit zum Kampf gegen Bedeutungslosigkeit
Früher kämpften Menschen gegen Unterdrückung, Armut, Ausbeutung. Gegen sichtbare Gegner, gegen konkrete Ungleichheit. Der Kampf von morgen wird herausfordernder: Es ist der Kampf gegen die Bedeutungslosigkeit. Er richtet sich gegen das Wissen, dass die eigenen Fähigkeiten weniger gefragt sind als der Output einer Software. Dass menschliches Urteil durch Scores ersetzt wird. Dass man nicht mehr gebraucht wird. Dieser Bedeutungsverlust wiegt schwerer als jede materielle Enteignung.
Die große Erzählung von der Arbeit
Diese Entwicklung trifft auf ein kulturelles Narrativ, das tief in unserer Gesellschaft verankert ist: die Vorstellung, dass Arbeit mehr ist als Erwerb. Arbeit gilt als Sinngeber, Identitätsstifter, sozialer Kitt. Ob das je für alle galt, ist fraglich. Für viele war Arbeit immer nur Zweck um sich Leben leisten zu können. Doch die Erzählung hat funktioniert. Sie strukturiert Lebensläufe, schafft Zugehörigkeit und grenzt aus, wer nicht „mitmacht“.
Auch in der Politik wird dieses Menschenbild gestützt. Bundeskanzler
Friedrich Merz etwa erklärte erst vor kurzem auf X:
„Arbeit ist ein Teil unserer Lebenserfüllung, Arbeit ist ein Teil unserer Lebensgrundlagen. Damit verdienen wir den Lebensunterhalt und den Wohlstand unserer Familien. Wir müssen wieder eine andere Beziehung zur Arbeit haben. Es kann doch auch Spaß machen!“ Friedrich Merz, Februar 2025
Die neue Klasse der Nutzlosen
In einer marktwirtschaftlich organisierten Gesellschaft ist das folgerichtig: Wer nichts „leistet“, verliert nicht nur Einkommen, sondern auch Status, Anerkennung, Anschluss. Ökonomische Bedeutungslosigkeit ist eine der größten Bedrohungen der Gegenwart. Und mit ihr: soziale Isolation.
So entsteht eine neue Klasse: nicht der Besitzlosen, sondern der Nutzlosen. Menschen, deren Talente nicht mehr gebraucht werden. Menschen, die nichts beitragen können, weil der Beitrag sich nicht rechnen lässt. Menschen, die zwar da sind, aber nicht mehr gemeint.
Wer sind wir ohne Erwerbsarbeit?
Reicht unser gesellschaftliches Koordinatensystem noch aus? Können wir als Gesellschaft Menschen Bedeutung zusprechen, die nichts erwirtschaften? Können wir eine Zukunft gestalten, in der Bedeutung nicht aus Erwerbsarbeit entsteht, sondern aus Beziehung, Kreativität, Fürsorge, Menschlichkeit? Können wir eine neue Erzählung schaffen, die nicht verdrängt, sondern verbindet?
Das sind keine kleinen Fragen. Unsere soziale Infrastruktur – vom Rentensystem bis zur Selbstbeschreibung – basiert auf der Idee, dass Erwerbsarbeit das Leben strukturiert. „Was machst du beruflich?“ ist nicht zufällig eine der ersten Fragen in jeder Begegnung. Wenn immer weniger Menschen darauf eine gesellschaftlich anerkannte Antwort haben, brauchen wir neue Konzepte.
Die Zukunft gehört der sinnvollen Betätigung
Vielleicht war die Erzählung von der Arbeit nie mehr als eine Verwechslung. Was wir suchten, war nie Arbeit im engeren, ökonomischen Sinn, sondern sinnvolle Betätigung. Tätigkeiten, in denen wir uns als wirksam erleben, als verbunden, als Teil eines größeren Zusammenhangs. Aristoteles nannte es das tätige Leben, nicht als Pflichterfüllung, sondern als Entfaltung des Menschseins. Die moderne Arbeitsgesellschaft hat diesen Gedanken verkürzt: Sie hat das Sinnhafte mit dem Erwerbbaren verwechselt, das Wirksame mit dem Verwertbaren. Doch der Mensch braucht keine Lohnabrechnung, um Bedeutung zu erfahren. Er braucht Räume, in denen seine Fähigkeiten gebraucht werden. Nicht weil sie sich rechnen, sondern weil sie etwas bewirken. Eine Gesellschaft, die Zukunft gestalten will, muss diesen Unterschied verstehen: Nicht Arbeit macht uns menschlich, sondern das, was wir sinnvoll tun können.



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